Über die unverzügliche Rettung der Welt by Königsdorf Helga

Über die unverzügliche Rettung der Welt by Königsdorf Helga

Autor:Königsdorf, Helga [Königsdorf, Helga]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Aufbau Digital
veröffentlicht: 2016-09-05T23:00:00+00:00


Ohne mir dessen bewußt zu sein, habe ich irgendwann »Heimat« aus meinem aktiven Wortschatz gestrichen. In der irrigen Annahme, mit der Ausmerzung eines Wortes sei auch alles, was sich darum rankt, erledigt.

Ganz normal deutsch

Vor einigen Tagen besuchten mich zwei junge Leute aus der Nachbarschaft.

»Ist doch komisch«, sagte Sybille, »andere wären froh, wenn sie Deutsche sein könnten. Und ich soll mich dafür schämen. Wegen einer Geschichte, bei der ich nicht einmal dabei war.«

»Deutsch!« Stefan sagte es im abwertenden Ton. »Also, ich könnte darauf verzichten.«

Mir kam das alles ziemlich deutsch vor. Manchmal weiß man gar nicht, wie sehr man etwas ist, weil man sich nicht von außen sehen kann. Es fängt aber schon bei Äußerlichkeiten an.

Hält jemand beim Essen das Messer anders als ich, höre ich die Stimme meiner Mutter sagen: Das Messer ist kein Bleistift. Geht jemand auf der Straße betont aus der Hüfte heraus, kann ich mich in die heftigste Ablehnung hineinsteigern. Ist es ein Mann und ist dieser gar noch dunkelhaarig, fühle ich mich bedroht. Der Prinz ist bei uns blond. Und er tötet furchtlos jeden Drachen. Doch sonst tut er keiner Fliege etwas zuleide.

Wir nehmen unseren Kitsch ernst. Man braucht nur einen Blick in die Poesiealben der Elterngeneration zu werfen. Die Jugend steckt schon im eigenen Kitsch. Mit Helden aus einer Technikkunstwelt, für die alles machbar wird.

Anstatt erwachsen zu werden, also zu lernen, Grautöne auszuhalten, neigen wir ein Leben lang zum Schwarz-Weiß. Wie Keulen schwingen wir sinnleere Wertbegriffe. Edel sei der Mensch. Ehre, Treue, Wahrheit. Wir sprechen dem anderen, ohne mit der Wimper zu zucken, das Recht ab, sich ein bißchen schönzulügen. In die Ecke stellen und Liebesentzug sind unsere Erziehungsmittel.

Mit einem Bild konfrontiert zu sein, dem man nicht genügen kann, demütigt und macht Angst.

Auch an kollektiven Demütigungen hat es nicht gemangelt. Mittendrin im europäischen West-Ost-Gefälle an kulturellem Hochmut. Mit einer ständigen Differenz zwischen empfundenem Anspruch und Wirklichkeit. Zu klein, um die anderen nicht ernst nehmen zu müssen. Zu groß, um andere auf die Dauer über sich zu dulden. Zu spät bei der ersten Industrialisierung. Das Gefühl, bei der Kolonialisierung zu kurz gekommen zu sein. Am schlimmsten: die selbstverschuldeten Demütigungen. Zwei Weltkriege. Zweimal Kapitulation. Holocaust, in seiner buchhalterischen Gewissenlosigkeit nicht mehr zu überbieten. Und jedesmal die Flucht in die Tüchtigkeit. Kein Wunder, wenn diese im Laufe der Zeit etwas Zwanghaftes geworden ist.

Demütigungen und Ängste bei sich enden zu lassen ist, im Kleinen wie im Großen, schwer. Sie werden fast immer weitergegeben. Wer sich nicht liebenswert findet, der wird auf die Liebe pfeifen. Er wird für Feindbilder anfällig. Er wird durch Zugehörigkeitsangebote korrumpierbar. Wer nicht glaubt, daß er gut sein kann, der muß besser sein. Und besser ist viel weniger als gut.

Die Deutschen haben sich vierzig Jahre untereinander als die Besseren gefühlt. Die vom Westen waren besser als die vom Osten. Die vom Osten, die sich mit dem Westen identifizierten, waren besser als der Restosten. Und die vom Restosten waren sowieso die Größten, denn sie hatten die Heilslehre. Jetzt sind die letzten bedingungslos bankrott, und die Krise der ersten ist kaum noch zu übersehen.



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